Zehn wichtige Invasionen, die nie stattfandenLandungsoperationen müssen genau vorbereitet werden. Überraschend ist, wie viele minutiös ausgearbeitete Angriffsoperationen dennoch nie verwirklicht wurden – und aus welchen Gründen. Pläneschmieden gehört zu den wichtigsten Aufgaben jedes Stabs – in der Wirtschaft, in der Politik und im Militär. Besonders im Krieg kann das Entwerfen von ausgreifenden Machbarkeitsstudien, Aufmarschanweisungen und ähnlichen Unterlagen einen praktischen Nebeneffekt haben: Dafür braucht man qualifizierte Offiziere, die so in aller Regel für einen Einsatz an der Front nicht mehr zur Verfügung stehen.
Das dürfte einer der Gründe sein, warum immer viel mehr Pläne für mögliche Operationen ausgearbeitet werden als am Ende schließlich Wirklichkeit werden. Betrachtet man die ausgearbeiteten, aber nie umgesetzten Vorhaben im Zweiten Weltkrieg, so zeigen sich daneben noch zwei weitere zentrale Motive: schiere Überschätzung der eigenen Fähigkeiten – und die effektive Täuschung des Gegners.
Die sicherlich bekannteste abgesagte Invasion Hitler-Deutschlands war das "Unternehmen Seelöwe". Unter verschiedenen Decknamen liefen seit August 1939 erste Studien über eine mögliche Landung der Wehrmacht in Süd-England. Konkret wurden diese Vorbereitungen erst, als sich Anfang Juni 1940 die baldige Niederlage Frankreichs abzeichnete.
"Unternehmen Seelöwe" gegen England
Auf Grundlage von Ausarbeitungen der verschiedenen Stäbe von Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine erließ Hitler am 16. Juli 1940 eine formelle Weisung: "Da England, trotz seiner militärisch aussichtslosen Lage, noch keine Anzeichen einer Verständigungsbereitschaft zu erkennen gibt, habe ich mich entschlossen, eine Landungsoperation gegen England vorzubereiten und, wenn nötig, durchzuführen."
Zwar liefen erste Vorbereitungen schnell an: Transport-Prähme und Motorboote aus dem ganzen besetzten Europa wurden in Nordseehäfen konzentriert, Landungskähne mit Hochdruck gebaut, Druckaufträge für Landkarten von England gegeben.
Doch zeigte sich bald, dass die Voraussetzungen für das Vorhaben fehlten: Die Kriegsmarine war der Royal Navy so deutlich unterlegen, dass der Schutz einer eingeschifften Invasionsarmee nicht gewährleistet werden konnte. Außerdem trudelte die Luftwaffe unter Hermann Göring im August 1940 bei der Luftschlacht um England in ihre erste Niederlage.
Schon am 14. August 1940 distanzierte sich Hitler vom "Unternehmen Seelöwe". Gegenüber dem Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch, sagte der Diktator, er werde "keine Operation durchführen, deren Risiko zu hoch" sei. Die "Niederwerfung Englands" sei nicht von der Landung abhängig, sondern könne "auch auf andere Art" erreicht werden. Lediglich die Drohung einer Invasion solle aufrechterhalten bleiben.
"Unternehmen Ikarus" gegen Island
Einen guten Monat später, am 17. September 1940, verschob Hitler zunächst die für die nächsten Tage vorgesehene Landung. In einer weiteren Weisung am 12. November 1940 bestimmte er dann: "Da bei Veränderungen in der Gesamtlage die Möglichkeit oder Notwendigkeit gegeben sein kann, im Frühjahr 1941 doch noch auf das Unternehmen ‚Seelöwe‘ zurückzukommen, müssen die drei Wehrmachtteile ernstlich bestrebt sein, die Grundlagen für ein solches Unternehmen in jeder Hinsicht zu verbessern."
Gänzlich eingestellt wurden die Planungen für eine Invasion Großbritanniens sogar erst im Februar 1944. So lange beschäftigten sich einige Offiziere in Stäben vor allem der Kriegsmarine noch mit Fortschreibungen der Aufmarschbefehle.
Im Zusammenhang mit der Absage des "Unternehmens Seelöwe" fielen zwei weitere Landungsoperationen aus, die bereits vorbereitet worden waren: Das "Unternehmen Ikarus" zielte auf die Besetzung des neutralen Islands.
Doch Großadmiral Erich Raeder, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, warnte Hitler eindringlich: Selbst wenn die Besetzung gelingen sollte, wofür die gesamte deutsche Flotte eingesetzt werden müsste, könnte angesichts der Überlegenheit der Royal Navy die Versorgung der Wehrmachtstruppen auf Island nicht gewährleistet werden. Der Plan verschwand in der Registratur.
"Fall Grün" gegen Irland
Der andere Plan war der "Fall Grün", die Besetzung des neutralen Irlands. Unter diesem Decknamen war bereits die geplante Invasion der Tschechoslowakei 1938 vorbereitet worden. Als das "Unternehmen Seelöwe" bereits verschoben war, arbeitete das Oberkommando der Wehrmacht noch am "Fall Grün" und schloss am 30. September 1940 ein Heft mit "militärgeografischen Angaben über Irland" an, gestempelt "Nur für den Dienstgebrauch!"
Abermals war es Raeder, der warnte: Eine solche Operation könnte ähnliche Folgen für die Wehrmacht haben wie Dünkirchen für die britische Armee. Irgendwann im Oktober 1940 wurden die Pläne zu den Akten gelegt.
Längere Zeit verfolgte insbesondere die Kriegsmarine dagegen das Vorhaben, den britischen Stützpunkt Gibraltar zu erobern; der Deckname dafür lautete "Unternehmen Felix". Und auch eine zweite britische Stellung im Mittelmeer wurde zum Ziel deutscher Stabsoffiziere: Malta.
"Unternehmen Herkules" gegen Malta
Das "Unternehmen Herkules" blieb fast zwei Jahre aktuell. Erstmals aufgebracht hatte die Idee ein deutscher Verbindungsoffizier bei der italienischen Marine. Im April 1941 galt die Invasion Maltas dann als Alternative zur Landung auf Kreta. Doch nach den schweren Verlusten beim "Unternehmen Merkur" sagte Hitler weitere große Luftinvasionen ab.
Angesichts der strategischen Bedeutung des "unsinkbaren Flugzeugträgers" Malta startete die Luftwaffe zunächst eine Bombenoffensive, dann eine Belagerung. Hitler und Mussolini verständigten sich sogar, die Invasion im Juni 1942 zu starten. Sogar eine entsprechende Weisung ging am 4. Mai heraus. Doch dann gab Hitler den entscheidenden Befehl nicht; die bereit gestellten Elitetruppen kamen zur Verstärkung der Truppen Erwin Rommels nach Nordafrika.
Dessen Niederlage bei El Alamein bedeutete das Ende des "Unternehmens Herkules". Formell aufgegeben wurde der Plan allerdings erst im Juli 1943, nach der amerikanisch-britischen Invasion auf Sizilien.
"Plan R4" gegen Norwegen
Nicht nur Stäbe der Wehrmacht entwickelten viele Pläne, die nie ausgeführt wurden: Den Alliierten ging es ähnlich. Manche Vorhaben scheiterten, weil die Wehrmacht schneller war. Bei anderen handelte es sich um Notfallpläne, die sich als unnötig erwiesen. Außerdem gab es Operationen, die ausschließlich auf die Täuschung des Gegners angelegt waren.
Der "Plan R4" sah die Besetzung des neutralen Norwegens durch britische Truppen ab dem 9. April 1940 vor. So sollte das Dritte Reich von der Versorgung mit schwedischem Eisenerz abgeschnitten werden. Gerechnet wurde damit, dass die norwegische Regierung gegen die Landung britischer Soldaten keine Einwände erheben würde; das war vorab informell bestätigt worden.
Doch einen Tag vor der geplanten Landung besetzten deutsche Truppen beim "Unternehmen Weserübung" Dänemark und Norwegen. Auf eine umkämpfte Invasion waren die britischen Schiffe, die bereits unterwegs waren, allerdings nichts vorbereitet: Die meisten zogen sich zurück. Wenige Tage später landeten Teile der Truppen dann in einem Fjord nahe Narvik und griffen in die Kämpfe um Norwegen ein – allerdings letztlich erfolglos.
"Operation Sledgehammer" gegen Norwegen
Von vornherein als Notfallplan konzipiert war dagegen die "Operation Sledgehammer". Der Codename stand für eine britisch-amerikanische Invasion in Westeuropa, entweder südlich des Pas de Calais oder bei Cherbourg.
Vorgesehen war eine Landung von sechs bis acht Divisionen für den Fall, dass die Wehrmacht bei ihrer Sommeroffensive 1942 die Sowjetunion zum Zusammenbrechen bringen würde. Als das ausblieb, verlor auch der "Vorschlaghammer" seine Bedeutung.
Teil der Planungen von "Sledgehammer" war die "Operation Jupiter", eine Landung britischer Truppen in Norwegen. Auf diese Weise sollten deutschen Truppen weitab der eigentlich entscheidenden Front gebunden werden.
Als die Alliierten dann für 1944 unter dem Namen "Operation Overlord" die eigentliche Invasion in der Normandie planten, setzten sie zugleich auf eine Verwirrungsstrategie: Unter dem Namen "Bodyguard" wurden eine Reihe von Schein-Landungen vorbereitet, unter anderem in der Biscaya, Norwegen, aber auch in Griechenland, Rumänien und Spanien.
"Operation Fortitude" gegen Calais
Die zuständigen Offiziere waren meist eingeweiht. Trotzdem betrieben sie die Entwicklung der Tarnunternehmen mit großem Eifer. Gelegentlich ließen sie aber ein paar unauffällige Details durchsickern, vernachlässigten die Funkdisziplin oder sorgten sonst dafür, dass der deutsche Militärnachrichtendienst Abwehr den Eindruck gewann, es würden Invasionsvorbereitungen laufen.
Die größte und wichtigste Täuschungs-Operation trug den Decknamen "Fortitude". Für sie wurde unter dem US-Panzer-General George S. Patton sogar eine ganze Armeegruppe erfunden.
Die vermeintliche Truppe, deren Panzer in Wirklichkeit aus aufblasbarem Plastik bestanden und deren Flugzeugattrappen aus Sperrholz, sollte den Deutschen vorgaukeln, die eigentliche Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 sei nur ein Ablenkungsangriff für den eigentlichen Stoß vom Pas de Calais ins Ruhrgebiet.
Mit Sicherheit hat keine andere Invasion, die nicht stattgefunden hat, mehr Bedeutung für die Weltgeschichte gehabt. Patton, der seine Abordnung zu diesem Unternehmen als Degradierung empfand, brannte darauf, endlich selbst eine Truppe auf dem Kontinent zu übernehmen. Nicht alle seine Stabsoffiziere sollen glücklich gewesen sein, als "Operation Fortitude" abgebrochen wurde.
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