Beitrag Mo 15. Dez 2014, 12:07

Oradour-sur-Glane

Oradour-sur-Glane



(10. Juni 1944)



200 km nordöstlich von Bordeaux und 22 km nordwestlich von Limoges in der Region Limousin (Mittelfrankreich), liegt das kleine Dorf Oradour-sur-Glane.

Als Vergeltung für Partisanenüberfälle wurde die Ortschaft von der 3. Kompanie des I. Bataillons SS-Panzergrenadierregimentes Der Führer (SS-Panzer-Division Das Reich) am 10. Juni 1944 vollständig zerstört und beinahe alle Einwohner ermordet. Insgesamt fielen 642 Zivilisten dieser Vergeltungsaktion zum Opfer.

Die heutige Ortschaft Oradour-sur-Glane liegt neben dem, immer noch als Mahnmal erhaltenen, alten Dorf.


Vorgeschichte



Am 6. Juni 1944 landeten die Alliierten in der Normandie. Die SS-Panzer-Division Das Reich unter SS-Gruppenführer Heinz Lammerding erhielt den Befehl, sich nach Norden zur Invasionsfront zu begeben. Die feindselig eingestellte, französische Bevölkerung und vor allem die Widerstandsbewegung erschwerten der Division ihren Marsch an die Front.

Bereits am 9. Juni 1944 wurden durch Angehörige der SS Panzer-Division in der französischen Stadt Tulle 99 zivile Geiseln erhängt. Als Begründung wurden erhebliche Ausfälle durch Angriffe der Resistance angegeben. Der jahrelange Einsatz an der Ostfront und die Erfahrungen die dort gesammelt wurden ließen die Soldaten der Division Das Reich stets hart gegen den Widerstand vorgehen. Sie scheuten auch nicht davor zurück, an vermeintlich Unbeteiligten ein Exempel zu statuieren.

SS-Sturmbannführer Kämpfe (III. Bataillon, SS-Pz.Gren.Rgt. Der Führer) fiel am 9. Juni 1944 in die Hände des Maquis, weil er sich mit seinem Wagen viel zu weit vor die Marschkolonne setzte. Das Regiment setzte seinen Marsch noch nach St. Junien fort und legte dem kommenden Tag, den 10. Juni 1944 eine Marschpause ein.


Das Massaker



Die Hauptstraße von Oradour-sur Glane.



Am Morgen des 10. Juni 1944 drang das Gerücht bis zur Division, dass angeblich ein deutscher Offizier in den Händen des Maquis bei der Ortschaft Oradour-sur-Vayres sein solle. Die Vermutung lag nahe, dass es sich hierbei um SS-Sturmbannführer Kämpfe handeln müsse.

Tatsächlich kamen zu dieser Zeit einige deutsche Soldaten in der Ortschaft Oradour-sur-Vayres bei einem Maquis-Angriff ums Leben. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass es sich bei der späteren Vergeltungsaktion nicht um eine Namensverwechslung (des Dorfnamens) handelte.

SS-Hauptsturmführer Otto Kahn erhielt den Befehl, seine 3. Kompanie des I. Bataillons sofort abmarschbereit zu machen, um noch am 10. Juni 1944 in die Ortschaft Oradour-sur-Glane einzurücken und 30 Geiseln zu nehmen, die später gegen den Gefangenen Sturmbannführer Kämpfe eingetauscht werden sollten. Der Befehl, ohne Ausnahme alle Personen, egal welchen Alters oder Geschlecht zu vernichten, wurde Otto Kahn erst vor Ort durch Diekmann erteilt.

Nach dem Krieg sagte Otto Kahn im Dortmunder Ermittlungsverfahren aus: "Diekmann eröffnete mir, dass als Befehl die Niederbrennung und Vernichtung des Dorfes Oradour eingegangen sei, was ich auszuführen hätte." (Staatsanwaltschaft Dortmund, Aktenzeichen 45 Js 2/62). Diekmann stellte dies als einen Befehl „von Oben“ dar und verwies darauf, dass er lediglich einen Befehl weitergegeben habe und somit keine Verantwortung für die Tötung von hunderten Zivilisten hatte. Gegen diese Aussage spricht, dass Diekmann gegenüber Otto Kahn erwähnte, dass bei dieser Vergeltungsaktion nicht mit Gegenwehr seitens der Bevölkerung oder gar des Widerstands zu rechnen sei.

Zehn Lastkraftwagen und mindestens zwei gepanzerte Fahrzeuge setzten sich gegen Mittag in Bewegung. Die Kompanie war zu diesem Zeitpunkt in drei Züge aufgeteilt und hatte einen Kompanietrupp und einen Aufklärungstrupp. Insgesamt zählten diese drei Züge der 3. Kompanie 148 Soldaten einschließlich 3 Offizieren. Adolf Diekmann und dessen Adjutant überwachten persönlich die Ausführung des Befehls, der mittels Maschinengewehren und Sprengmittel ausgeführt werden sollte.

Erst um 14.00 Uhr direkt vor der Ortschaft wurden der Kompanie die genauen Befehle bekannt gegeben. SS-Untersturmführer Heinz Barth fuhr sofort mit seinem 1. Zug durch die Ortschaft, um diese abriegeln zu können. Diese Durchfahrt ohne weitere Sicherung (Zeugenaussagen vor Gericht) bestätigt, dass die Kompanie keinerlei Widerstand seitens der Bevölkerung erwartete.

Die Räumung der Häuser begann um 14:30 Uhr. Alle Einwohner und auch zufällig anwesende Zivilisten (u. a. 6 Radfahrer, die sich auf dem Weg durch die Ortschaft befanden) wurden auf dem Marktplatz zusammengetrieben. Selbst Kranke hatten sich am Marktplatz einzufinden.

In der Zwischenzeit wurde der Bürgermeister des Ortes, Jean Desourteaux von SS-Sturmbannführer Diekmann verhört. Der Stadtschreiber und Schmied Jean Depierrefiche machte sich auf Geheiß des Bürgermeisters mit einer Trommel auf, um die Einwohner entsprechend zu informieren.

20 Personen sollen es angeblich geschafft haben, sich dem Zugriff der SS-Soldaten zu entziehen, noch bevor diese den Ort abriegelten. Bis zu diesem Zeitpunkt gingen die Deutschen Soldaten bestimmt, jedoch immer noch höflich vor, so spätere Zeugenaussagen der wenigen Überlebenden.

Als die Soldaten begannen, die auf dem Marktplatz versammelten Bürger von Oradour in Männer, Frauen und Kinder aufzuteilen, kamen erste Unruhen auf.

Erste Fluchtversuche sollen nun auch mit Schüssen der Soldaten verhindert worden sein. Zur Rechtfertigung wurde von der SS nun verlautbart, dass nach Waffen und Munition gesucht werde. Der Bürgermeister verweigerte nun die Anordnung Diekmanns, Geiseln zu stellen. Er forderte Diekmann auf, sich die Geiseln selbst nehmen zu müssen – er, der Bürgermeister, könne niemanden ausliefern.

Frauen und Kinder wurden nun in die örtliche Kirche gebracht, die Männer wurden in 6 Scheunen getrieben.



Die Ruine der Kirche



Soldaten platzierten laut Aussage der einzigen Überlebenden der Frauen aus der Kirche (Marguerite Rouffanche) eine ca. 80 cm große Kiste am Altar, um im Anschluss fluchtartig die Kirche zu verlassen. Die Soldaten waren kaum aus dem Gebäude verschwunden und hatten die Türen verriegelt, da drang auch schon schwarzer Rauch aus der Kiste. In der Kirche brach Panik aus. Marguerite Rouffanche konnte durch ein Fenster in der Sakristei flüchten, wurde jedoch beim Versuch einer weiteren Frau mit Kind zur Flucht zu verhelfen angeschossen und schwer verletzt – sie konnte sich jedoch noch in einen Garten flüchten und verstecken.

Alle weiteren Fluchtversuche wurden von der SS brutal niedergeschlagen. Laut Augenzeugenberichten wurden Handgranaten durch geborstene Fenster in die bereits brennende Kirche geworfen bzw. auf flüchtende Frauen und Kinder geschossen. Angeklagte deutsche Soldaten sollten später im Prozess 1953 diese Aussagen bestätigen.

Als die Kirche in Flammen stand, begann man nun auch auf die gefangenen Männer des Ortes in den Scheunen zu schießen. Man rechnete nicht damit, dass jemand die tödlichen Schüsse aus nächster Nähe überleben konnte, also setzte man die Toten in den Scheunen in Brand.

Widererwarten gelang es einigen Franzosen dieser Hölle schwer verletzt zu entkommen um später unter Tränen aussagen zu können, was sich in den Scheunen für grauenvolle Szenen abgespielt haben. Weitere 52 Menschen, die den bisherigen Suchaktionen der SS entkommen waren, wurden nun aufgespürt und ebenfalls ermordet. Im Anschluss wurde in allen Häusern Feuer gelegt.

Der Brand in der Kirche ging den Soldaten nun nicht schnell genug. Weitere Sprengsätze wurden durch die Fenster geworfen, um die Tötung der Frauen und Kinder zu beschleunigen. Wahrscheinlich haben es die Soldaten übertrieben, denn bei einer Explosion im Inneren der Kirche stürzte der Turm ein und verletzte einen Soldaten schwer. Einige Tage später erlag er seinen Verletzungen.



Verfallener Peugeot 202 und einige Gebäude in Oradour-sur-Glane



Als SS-Sturmbannführer Diekmann in St. Junien beim Regimentskommandeur, Standartenführer Stadler, Bericht über die Aktion in Oradour erstattete, war dieser entsetzt und drohte sofort mit ernsthaften Konsequenzen bzw. mit einem Kriegsgerichtsverfahren.

Abends gegen 19 Uhr war Oradour immer noch von den Männern des Hauptsturmführers Kahn abgeriegelt. Die Ortschaft stand um diese Zeit nach wie vor in Flammen.

In einem Hotel, welches wie alle anderen Gebäude in Flammen stand, konnten sich die Geschwister Pinéde immer noch erfolgreich verstecken. Allerdings drohte das Gebäude einzustürzen, also flüchteten die Mädchen ins Freie und liefen dabei einem SS-Soldaten direkt in die Arme.

Total überrascht fragte die Ältere der beiden den Soldaten was sie nun machen sollten – zur Verblüffung beider deutete er nur in Richtung der Felder und die Mädchen rannten los. Auch sie konnten sich aus der Hölle von Oradour retten.

Die Straßenbahn von Limoges nach St. Junien traf um 19 Uhr in Oradour ein und wurde von den Soldaten aufgehalten und durchsucht. 20 Personen, die laut ihren Papieren in Oradour wohnten, wurden dazu gezwungen auszusteigen und wurden weggebracht. Die Straßenbahn musste umkehren und zurückfahren. Die 20 Personen konnten beobachten, wie nach wie vor Granaten in die brennenden Häuser geworfen wurden. Bis 20 Uhr hatte man sie auf einem Bauernhof am Rande des Dorfes festgehalten, ehe man sie wieder frei ließ. Sie hatten Glück gehabt, dass sie so spät erst nach Hause kamen.

Immer noch gab es Einwohner von Oradour, denen schwer verletzt Abends noch die Flucht gelang.

Gegen 21.30 Uhr Abends war die Aktion endgültig vorbei. Der Großteil der Kompanie zog sich nach Nieull zurück und bezog Nachtquartier. Zurückgelassen wurde eine Nachhut von etwa 30 Soldaten, die am nächsten Morgen die völlig zerstörte Ortschaft verließen.

Den wenigen Überlebenden wurde in den nächsten Tagen erlaubt, ihre Verwandten, Freunde und alle anderen Dorfbewohner zu begraben.

Die meisten Leichen konnten nicht identifiziert werden, im Prozess 1953 in Bordeaux wurde jedoch eine Gesamtzahl von 642 Toten festgestellt. 245 Frauen und 207 Kinder mussten an diesem Tag unschuldig ihr Leben lassen.


Nachspiel



Zerstörte Gegenstände in Oradour-sur Glane.



Wie angekündigt, leitete SS-Standartenführer Stadler gegen SS-Sturmbannführer Diekmann ein Kriegsgerichtsverfahren ein. Das Massaker von Oradour-sur-Glane löste sogar bei Generalfeldmarschall Erwin Rommel Empörung aus, er protestierte bei der Division gegen derartiges Vorgehen und verbat sich derartige Alleingänge für die Zukunft.

An Hauptverb. Stab 588

Betr.: Vorgänge in Oradour sur Glane.

In der Stadt Limoges und auf dem Lande hatte sich eine gewaltige Erregung der Bevölkerung bemächtigt, so dass es ratsam erschien, dagegen etwas zu tun:
Durch die militärische Zensurstelle wurden mittels etwa 500 V.-Männern die mündliche Version verbreitet, dass die Frauen und Kinder zu ihrem Schutz in die Kirche gebracht worden seien, die aus irgendwelchen Gründen Feuer gefangen habe, und dadurch sei ein Munitions- und Sprengstofflager in die Luft geflogen, das von den Partisanen dort angelegt worden sei.
gez. Gleiniger


Anmerkung: General Gleiniger war deutscher Kommandant in Limoges


SS-Sturmbannführer Adolf Diekmann konnte für seine verbrecherischen Befehle nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden, da er am 29. Juni 1944 fiel, wobei auch die gesamte 3. Kompanie aufgerieben wurde.

Von Adolf Hitler persönlich wurden nachträglich alle weiteren Ermittlungen in Sachen Oradour verboten.

Erst 1953 wurde ein Prozess gegen die wenigen Überlebenden der 3. Kompanie in Bordeaux angestrengt. Lediglich 63 der am Massaker beteiligten Soldaten der 3. Kompanie überlebten den Krieg.

Die damalige Rechte Szene vertrat die Sichtweise, dass Oradour keineswegs eine Vergeltungsaktion war, sondern lediglich eine Verteidigungsaktion gegen Partisanen. In Oradour wurden angeblich Waffen- und Munitionslager vermutet, die bei einem unerklärlichen Brand in der Kirche explodiert seien. Diese Sichtweise hält sich bis heute, obwohl die wenigen Überlebenden der 3. Kompanie die Version der Vergeltungsaktion zugaben.

Der letzte Prozess in Sachen Oradour wurde 1983 in der ehemaligen DDR gegen Untersturmführer Heinz Barth angestrengt. Auch er bestätigte die Taten der 3. Kompanie und will nichts von einem Widerstandsnest in Oradour gewusst haben.

Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, aus der er 1997 aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes frühzeitig entlassen wurde. Er verstarb am 6. August 2007 in seinem Geburtsort Gransee.


Quellen



Autor von Mackensen