Streitmacht

Am späten Mittag tauchten mehrere Trucks, einer davon mit einem Mikrofon und einem Lautsprecher ausgestattet, vor der Kommandantur der 10th Guards Tank Division auf. Als die Trucks den Vorplatz erreicht haben, steigen in Windeseile rund 20 Rotarmisten aus den Trucks aus und umstellen mit größter Präzision das Gebäude. Währenddessen schallt die Stimme von Mayor Domitian über die Lautsprecher des Trucks.

Werte Genossinnen und Genossen. Hier spricht Mayor Domitian, stellvertretender Divisionskommandeur der 13th Guards Rifle Division und Leiter des Stabes von Mayor Dome. Auf Kommando des Oberkommandos der 2nd Guard Army und gesamten Roten Armee übernehme ich nun kommissarisch das Kommando über Ihre Division. In dem Zuge möchte ich Sie auch gleich darauf hinweisen, dass die Kommandantur von Rotarmisten umstellt wurde. Ich hoffe daher auf die Kooperation von Ihnen alle und auf einen sanften Wechsel an der Spitze dieser Division. Soldaten die dieser Anordnung zuwider handeln, werden sich vor einem Militärgericht verantworten müssen.

Domitian wartete einige Minuten. In dieser Zeit verließen schon einige Bürokräfte die Kommandantur. Danach entschloss sich Domitian sich mit seinen Soldaten Zugang zur Kommandantur zu verschaffen. Taktisch geschult wie sie waren, sicherten sie vorher erst jeden Gang, bevor der Mayor durchgelassen wurde. Zwischenfälle gab es jedoch keine und der Mayor erreichte schließlich auch das zentrale Büro der Kommandantur. Allerdings war das Büro verlassen… verlassen bis auf einen jungen Mann in Uniform, der schon ein wenig Staub angesetzt hatte und auf einem klapprigen Holzstuhl saß. Unsicher tippte Domitian dem Soldaten auf die Schulter und sprach ihn an.

Soldat, was machen sie hier noch? Das Gebäude wird… naja es wird mehr oder weniger geräumt. Und wo wir grade dabei sind, wer sind sie überhaupt?

Geschockt aber auch in gewisser Weise amüsiert musterte Domitian den Soldaten weiter. Mann, diese zwei Wochen allein in diesem Büro müssen dem Armen echt zugesetzt haben.

Wissen sie was? Iwa.. Iwa.. Iwanowitsch? Sie sollten sich erst mal draußen mit den anderen Soldaten dieser Division sammeln und sich eine frische Dusche und eine warme Suppe zur Stärkung abholen. Dann können wir gerne weiter reden, auch über ihren Dienst und ihren Nutzen für die Rote Armee. Was halten sie davon?

Ein freudiges Lächeln formte sich auf Stefans Gesicht. Eine Dusche? Nahrung? All das hatte er schon seit Wochen nicht mehr vor sich gehabt. Lediglich dieses abgestandene Wasser in dem Glas vor ihm. Wenn dieser Mayor wüsste, was er alles getan hatte um diese Wochen zu überleben… aber nun gut. Es ging bergauf, und das war es was zählte.

Gewiss Herr Mayor. Ich werde mich melden sobald ich wieder halbwegs diensttauglich bin.

Stefan salutierte schwerfällig und machte sich auf seinen noch trägen Beinen auf, sich bei seinen zukünftigen Kameraden auf dem Vorplatz zu melden.

Nachdem der doch mindestens leicht verwirrte Soldat das Büro verlassen hatte, ging Domitian das Büro ab. Staub sammelte sich auf dem Tisch und sämtlichen Möbeln, zudem sammelte sich eine Flüssigkeit, die wohl hoffentlich Wasser zu sein schien, in einer Ecke des Raumes. Eines schien festzustehen, dieses Büro musste gereinigt werden, bevor hier irgendjemand auch nur ansatzweise seinen Dienst verrichten konnte. Domitian öffnete noch geistesgegenwertig ein Fenster um den miefigen und strengen Geruch wenigstens ein bisschen auf dem Büro vertreiben zu können, ehe er es verließ und auf seinen Adjutanten traf.

Popov, tragen sie bitte Sorge dafür, dass dieses Büro schnellstmöglich gereinigt wird. Und zwar gründlich und zwar von jemandem, der bestenfalls keine Probleme mit fremden Körperflüssigkeiten hat.

Popov schaute ihn mit einem anwiderten Gesichtsausdruck an und tat so, als müsste er würgen.

Achja und wenn sie schon mal dabei sind, setzen sie bitte ein Telegramm für mich auf. Berichten sie dem Oberkommando, dass die 10th Guards Tank Division gesichert ist und auf die Gefechtsbereitschaft geprüft wird.

Mit einem entschlossenen Nicken verabschiedete sich Popov, während Domitian sich mit den anstehenden Aufgaben in der Division vertraut machte.

Kurz nachdem sich Mayor Domitian in dem Vorzimmer der Kommandantur eingerichtet hatte und das dahinter gelegene Büro mit gelbem Absperrband versiegelt wurde, kam auch schon wieder Stefan Iwanowitsch auf ihn zu. Dieses Mal jedoch nicht ganz so angespannt und neurotisch aussehend, wie bei ihrem ersten Treffen vor einigen Stunden. Entspannt stand der Mayor auf und salutierte dem jungen Mann zu, gab ihm zur Begrüßung jedoch nicht die Hand, da er noch den Zustand des Büros im Hinterkopf hatte.

Soldat Iwanowitsch, es freut mich sie so schnell wieder zu sehen und dann auch noch so schnell gestärkt von den ganzen Strapazen. Ich denke mal, sie sind hier um mit mir ihren weiteren Werdegang in der Roten Armee zu diskutieren. Bevor wir dazu kommen, würde ich aber gerne wissen, ob sie mir vielleicht mehr über sich selbst, aber auch vielleicht über die Zustände in der Division in den letzten Wochen sagen können? Auch wenn sie während dieser Zeit ausschließlich in dem Büro gehaust haben. Sie werden doch irgendetwas mitbekommen haben oder?

Dem Mayor gefiel auf jeden Fall der Humor Leytenant Iwanowitsch. Er hatte jedoch Probleme, die gesamte Personalie richtig einzuordnen.

Gut, also wenn sie wirklich Leytenant Iwanowitsch sind, werden wir sicherlich noch Unterlagen zu ihrer Person haben. Wenn diese eingetroffen sind, das dürfte maximal ein paar Tage dauern, bekommen sie auch ihre Schulterklappen und ihre wohlverdienten Orden zurück. Da sie ja schon einige Zeit hatten darüber nachzudenken: Haben sie sich schon Gedanken gemacht, welche Rolle sie in der Division einnehmen wollen, welche Waffengattung sie präferieren und wie sie unserer glorreichen Roten Armee und unserer Division insgesamt helfen können?

Mayor Domitian musterte Iwanowitsch weiter eingehend, konnte jedoch weiterhin nicht wirklich schlau aus ihm werden.

Das wird sich sicherlich einrichten lassen. Bis es jedoch so weit ist, würde ich sagen, dass wir bis dahin genau da verbleiben. Sie können sich so lange schon mal in der Kommandantur umsehen. Suchen sie sich zudem draußen eine Baracke als Schlafplatz, die noch frei ist. Alle weiteren Anfragen können sie gerne entweder direkt an mich oder meinen Adjutanten Leytenant Popov richten.

Zum Abschied salutierte der Mayor und machte sich dann daran, sich mit den anderen Divisionen der 2nd Guard Army zu koordinieren.

Nach etwas Verzögerung kommt Domitian in der Kommandantur der 10th Guard Tank Division an. Dort trifft er den neuen Rekruten Stefan Iwanowitsch, geht geradewegs auf ihn zu und spricht ihn an.

Gut dass ich sie hier treffe Genosse Iwanowitsch. Ich weiß… sie wollen wahrscheinlich wegen ihrem Rang mit mir reden. Was das angeht, kann ich sie beruhigen. Wir haben ihre Akten gefunden und alles ist die Wege geleitet. Allerdings mahlen die Mühlen unserer Verwaltung manchmal etwas langsam, weswegen sie bedauerlicherweise noch etwas warten müssen.

Iwanowitsch sah tatsächlich etwas geknickt aus und Domitian überlegte, wie er die kommende Bitte am besten verpacken sollte.

Allerdings hätte ich bereits eine Aufgabe für sie. Damit wir diese genauer besprechen können, melden sie sich bitte heute Abend nochmal bei mir, bestenfalls nach offiziellem Dienstschluss. Verstanden Genosse?

Mhm, was könnte der Mayor nur von ihm wollen, dass er ihn nicht mal zu Wort kommen ließ und ihm stattdessen direkt Befehle erteilte? Es musste etwas wichtiges sein, etwas das ihm selbst vielleicht ermöglichte, sich von Anfang an das Vertrauen seiner Befehlshaber zu erarbeiten. Stefan entschloss sich also seine anfänglichen Fragen und Bedenken hinten anzustellen und dem Mayor zu antworten.

Vielen Dank Herr Mayor. Für die Geschwindigkeit unserer Verwaltungsorgane können sie ja nichts und was ihren Befehl angeht… So werde ich ihm selbstverständlich Folge leisten Genosse Mayor. Wir sehen uns heute Abend zur Besprechung wieder

Stefan salutierte, verabschiedete sich und begab sich schnell in Richtung seiner Baracke um sich auf den heutigen Abend vorzubereiten.

Nachdem dies erledigt war, ließ Domitian Popov zu sich rufen. Dieser tauchte auch schon nach ein paar Sekunden später auf, machte jedoch keinen guten Eindruck auf den Mayor. Popov hatte dicke schwarze Augenringe und sah so aus, als hätte er heute Morgen nicht geduscht.

Na, haben sie wohl einen schlechten Abend gehabt Genosse?

Ach das meinen sie? Ich habe nur mit ein paar Kameraden gefeiert sonst nichts.

Mit ein paar Kameraden gefeiert? So kenne ich sie gar nicht. Ich wusste gar nicht dass sie überhaupt Freunde haben.

Leytenant Popov schaute nur missmutig drein und wartete bis der Mayor sein Anliegen formulierte. Der Mayor wiederum vermochte der Ausrede von Leytenant Popov auch nicht nur im Ansatz zu vertrauen.

Wären sie so freundlich ein Schreiben an die restlichen Divisionen aufsetzen? Bevor wir unsere Mandschurei Operation starten, möchte ich dass sich alle Division etwas näher kommen. Unsere Soldaten sollen sich aufeinander abstimmen und die Gewissheit haben, dass sie sich auf die Kameraden in den anderen Divisionen verlassen können. Ich weiß, dass sie da die richtigen Worte finden werden Popov.

Popov machte sich Notizen auf seinem Klemmbrett und war grade dabei wieder in seine Amtsstube zurückzugehen, als der Mayor mit festem Blick auf die derzeit mickrige Erscheinung Popovs doch nochmal anfing zu reden.

Achja und da ist noch etwas Leytenant. Falls noch nicht geschehen, bitte ich darum, die Observation von Fräulein Novikova einzustellen. Diese Aufgabe wird jetzt von anderen Stellen wahrgenommen und nicht mehr von uns.

Während Popovs Kopf immer mehr die Farbe eines Hummers in siedendem Wasser annahm, widmete sich Domitian nach dem Gespräch mit Leytenant Popov wieder seinen Akten und der Frage, wie er heute den jungen Rekruten am besten überzeugen sollte, diesen gefährlichen Job anzunehmen.